Prolog



Prolog


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„Dieses … Ding, das Ihr meint, hat nur indirekt etwas mit dem Engel zu tun. Obwohl die Engel und das Ding im Erdorbit in ihrem Ursprung zusammenhängen, leisten sie verschiedene Dienste. Ihren Ursprung haben die Engel in einer Zivilisation, die sehr weit entwickelt und in Richtung des Zentrums unserer Galaxie beheimatet ist. Würde man dort die Kardaschow-Skala zu einer Bewertung heranziehen, könnte man sie wahrscheinlich irgendwo zwischen Typ II und Typ III ansiedeln. Dies sagt aber wenig über ihre wahre Fortschrittlichkeit aus, und ich erwähne es hier nur, um Euch die Relation begreiflicher zu machen.“
Konstantin nippte an seinem Bier, und die Worte waren noch nicht gänzlich in sein Bewusstsein vorgedrungen. „Das ist ziemlich unvorstellbar. Die Menschheit ist trotz der Kolonien auf dem Mond und dem Mars noch immer weit davon entfernt, auch nur zum Typ I gerechnet werden zu können. Die Energiemengen, die dort erzeugt werden, sind im Vergleich lächerlich gering, und es ist bisher nicht gelungen, sie der irdischen Bevölkerung ergänzend zur Verfügung zu stellen.“
„Stellt Euch eine Zivilisation vor, die zehn Milliarden Mal so viel Energie verbraucht wie die Menschheit noch vor zwei Jahren“, verdeutlichte Yssantis. „Stellt Euch außerdem die Lebensumgebung dieser Zivilisation vor. Ich kann Euch nicht genau sagen, in welchen Sonnensystemen der Milchstraße sie ihren Ursprung hat, dazu haben die Lhon’Dar nichts Genaueres erzählt. Was wir jedoch wissen, ist: Je näher man dem Zentrum unserer Galaxie kommt, desto mehr Strahlung und Gravitationskräften ist man ausgesetzt. Auch ist die Sternendichte derartig hoch, dass es eine Nacht wie auf der Erde dort nicht gibt. Es herrscht gleißende Helligkeit auf den habitablen Planeten der dortigen Sonnensysteme.“
„Das müsste bedeuten, dass deren Evolution von Anfang an mit diesen Faktoren zu kämpfen hatte, Yssantis“, führte Konstantin die Gedanken fort. „Ihr habt eben jemanden erwähnt, die … Lon…?“
„Lhon’Dar“, half ihm Yssantis. „Sie kamen 2017 zeitgleich nach Nibiru und auf die Erde. Sie jagen die Engel seit etwa 10 500 Jahren. Von ihnen weiß ich das, was ich Euch heute erzähle, lieber Freund. Und am Rande angemerkt, Evolution und das Leben finden immer einen Weg.“
„Diesen Spruch habe ich in meiner Kindheit öfter gehört …“ Konstantin versuchte sich zu erinnern. „Ich kann aber gerade nicht sagen, woher … 2017 … das ist über 30 Jahre her. Zu der Zeit hatte ich noch keine Ahnung, wie sich mein Leben entwickeln würde. Vermisst Ihr Eure Heimat nicht in solchen Momenten wie heute?“
Yssantis überlegte für einen kurzen Augenblick.
„32 Jahre, um genau zu sein. Und Ihr scheint zu vergessen, lieber Konstantin, dass ich auf der Erde geboren bin und hier schon einige Jahre gelebt habe. Letztens habe ich Euch noch von der Eröffnung des Eiffelturms erzählt, weil Ihr davon spracht, diesen in Paris demontieren und in Konstantinopol wieder aufbauen zu lassen. Euren Größenwahn habt Ihr durchaus von Eurem Vater geerbt.“
Konstantin lächelte leicht, als er an seinen Vater erinnert wurde.
„Ich weiß nicht, ob es Größenwahn war. Jedoch ist nicht zu leugnen, dass er mir seinen unbändigen Ehrgeiz vererbt hat. Ohne den hätte ich das alles hier nicht aufbauen können. Aber bitte, ich habe Euch unterbrochen, erzählt weiter. Die Lhon’Dar haben gegen die Engel gekämpft, aber wenn die Engel nun die Erde angreifen, was können wir gegen eine Zivilisation ausrichten, die so viel größer ist als wir?“
„Die Engel sind nicht diese Zivilisation, die Engel sind nur eines ihrer Werkzeuge“, schilderte Yssantis. „Wir wissen nicht, wie viele Engel es gibt und wie groß diese Zivilisation genau ist, von der die Engel erschaffen wurden. Aber ich sollte besser von Anfang an erzählen.“ Yssantis ergriff den noch gut gefüllten Bierkrug und genehmigte sich einen großzügigen Schluck. Aus den Augenwinkeln suchte er dabei den Innenraum der Bar nach unfreiwilligen Zuhörern ab und entspannte sich etwas, da außer ihnen keine anderen Gäste anwesend waren. Von der Tatsache beruhigt, dass es nur Konstantins Ohren waren, die seine Worte vernehmen würden, erzählte er weiter.
„Den wahren Namen dieser Zivilisation kenne ich nicht, ich habe mir aber angewöhnt, sie als ‚Götter‘ zu bezeichnen. Ich finde das durchaus treffend, da die Menschheit früher einen Großteil ihrer Zeit und Mühen in die Suche nach dem Großen und Allmächtigen im Universum investiert hat. Etwas Größeres als diese Zivilisation wird man in der Milchstraße wohl nicht finden. Genauso wie Euer werter Vater einen ausgeprägten Ehrgeiz besaß, hatten auch die Götter den Drang, immer weiter zu expandieren. Sie machten es sich zur Aufgabe, andere Galaxien zu erkunden. Diese Neugier rächte sich aber bitter. Aus dem Andromeda-Nebel brachten sie eine Seuche mit, die sich unbemerkt innerhalb ihrer Zivilisation ausbreiten konnte. Als die Seuche bemerkt wurde, waren bereits mehrere Planeten kontaminiert. Auch für eine partielle Quarantäne war es zu spät.
Die Epidemie ließ sich nicht mehr aufhalten, jedoch fanden sie bald ein Gegenmittel, dessen regelmäßige Einnahme die Krankheit eindämmen konnte, bis sich im Laufe der Evolution womöglich eine Immunität entwickeln würde. Im schlimmsten Falle kann so etwas aber Millionen von Jahren dauern. Die Götter entwickelten diese Medizin auf der Basis von Proteinen.“
„Wie darf ich mir das vorstellen?“, kommentierte Konstantin lachend. „Sie haben ein riesiges Labor gebaut und sind dann mit Tankern zu ihren verschiedenen Planeten geflogen, um alle zu versorgen?“
„Ich bitte um etwas mehr Ernst, Konstantin“, mahnte Yssantis leicht genervt von der Naivität seines Gesprächspartners. „Ich nahm an, dass Ihr diese Geschichte dringend hören wolltet.“
Konstantin hielt zum Zeichen der Versöhnung seinen Bierkrug hoch: „Ihr habt natürlich recht. Diese Vorstellung war nur in gleichem Maße surreal wie erheiternd. Wie kamen diese … Götter aber an so große Mengen an Rohstoffen, und woher kamen die?“
Yssantis kniff die Augen etwas zusammen und schaute Konstantin kritisch an, hob dann aber ebenfalls seinen Krug, um die freundliche Geste seines Gastgebers zu erwidern und die Frage zu beantworten.
„Am besten eigneten sich dafür natürlich lebende Organismen mit einer DNA, die der DNA der Götter ähnelte, und die sich ohne großen Aufwand züchten und ernten ließen.
Es wurden Nutztiere eigens zu dem Zweck gezüchtet, sie zu der Medizin zu verarbeiten.
Um eine derart gigantische Zivilisation mit einer entsprechenden Menge an Medizin zu versorgen, wurden habitable Planeten ohne dominante Spezies in Gänze zur Herstellung dieser genutzt.
Um das zu bewältigen, musste die dazugehörige Maschinerie automatisiert werden“, erklärte Yssantis. „Und dazu wurden die Engel erschaffen. Ihr Zweck war es, in verschiedene Flotten aufgeteilt die Nutztiere auszusetzen, die Population zu beobachten und später die Ernte durchzuführen.
Doch die Krankheit verbreitete sich trotzdem schneller, als man mit der Kultivierung der Nutztiere nachkam, um daraus die Medizin herzustellen. Die Logistik dafür sprengte jeden Rahmen, und die Anzahl verfügbarer Planeten wurde immer knapper.
Die Götter waren an einem Scheideweg angekommen. Sie konnten entweder die eigene Bevölkerung in ein Schichtsystem einteilen und nur den oberen Schichten die Medizin zur Verfügung stellen, oder einen Weg finden, die Herstellung zu optimieren, um weiterhin alle damit versorgen zu können.
Das Einteilen in Schichten hätte Bürgerkriege und die Zerrüttung der eigenen Zivilisation zur Folge gehabt. Die Götter wussten, dass der Grundpfeiler der Existenz und des Fortschritts der eigenen Zivilisation die Einheit ist.“
Konstantin lachte laut auf: „Das erklärt wohl, warum die Menschheit nie über Typ I hinauskommen wird. Ich kann mir genau denken, welche Entscheidungen hier auf der Erde getroffen worden wären.“ Er hatte sein Bier inzwischen geleert und schien sich nach mehr zu sehnen, denn er winkte Mara herbei.
„Sagt mal, Yssantis, kann ich Euch für eine Wasserpfeife begeistern? Etwas Rauch zu einer guten Geschichte finde ich nie verkehrt.“
„Seid versichert, Konstantin, ich habe schon so einiges in meiner Lebenszeit hier auf der Erde mitbekommen, und ich bin davon überzeugt, dass die Menschheit nicht einmal jemanden hätte bestimmen können, der die Entscheidung geschlossen für den gesamten Planeten hätte fällen können. Und sofern Ihr eine Wasserpfeife hinstellt, werde ich sie auch genießen. Andere Kulturen und deren Bräuche haben mich schon immer begeistern können.“
„Was darf ich euch bringen?“, fragte Mara mit einem lieblichen Lächeln, als sie an den Tisch herantrat.
„Sei doch bitte so gut und stell meinem Gast und mir eine Wasserpfeife an den Tisch. Und schenk uns noch nach.“
Mara füllte die Krüge mit Bier auf, verschwand dann im Hinterzimmer und holte zwei hohe, reich mit Gold und Saphiren verzierte Wasserpfeifen mit Gläsern aus Kristall herbei.

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