Prolog



Prolog


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Doch Yssantis vergeudete ungern Zeit und setzte die Geschichtslektion fort, ohne auf den Dank einzugehen.
„Es geht noch weiter, Konstantin. Die Kultivierung auf anderen Planeten hatte damit begonnen, die vorhandenen, meist nicht entwickelten Lebewesen für die Ernte verfügbar zu machen. Dazu wurde eine ausgewählte Spezies mit einem Mutagen behandelt, das sich über die Atmosphäre des Planeten verbreitete und Teile der DNA der Lebewesen transformierte. Diese Lebewesen waren jedoch in ihrem Wachstumsprozess bis zur Ernte natürlichen Feinden und Klimaschwankungen ausgeliefert. Die Lhon’Dar haben mir berichtet, dass es wohl Planeten gegeben habe, bei denen die Erträge kaum der Rede wert gewesen seien. Bei exponentiell steigendem Bedarf der Rohstoffe stieg aber auch der Aufwand für die Flotten der Engel, die vorhandenen Bestände zu pflegen und parallel dazu die neuen Populationen zu versorgen.
Die Götter optimierten deshalb die Methoden immer weiter. Anstatt die Entwicklung der Spezies auf anderen Planeten dem Zufall zu überlassen, wurde das Mutagen derart verändert, dass es zusätzlich einen Entwicklungsschub der ausgewählten Spezies verursachte.
Das geschah alles mit dem Ziel, einen Organismus auf dem Planeten zu erschaffen, der sich eigenständig ernähren und versorgen konnte, ohne dass man befürchten musste, er würde von anderen auf dem Planeten beheimateten Spezies ausgerottet werden.“
„Ein Bauplan zur Weltherrschaft … Sehen dann alle Spezies, die mit dem Mutagen behandelt wurden, gleich aus?“, fragte Konstantin.
„Das Mutagen musste die Zusammensetzung der DNA nur so weit verändern, dass sie für die Götter verwertbar wurde. Das Aussehen einer Spezies wird damit nicht unbedingt etwas zu tun haben. Jede Spezies muss wohl eine konvergente Evolution durchlaufen, bevor sie eine intelligente Gesellschaft bilden kann.
So entstanden aus der ‚Neuen Saat‘ wesentlich größere Populationen, die sich ohne großen Aufwand selbstständig aufzogen. Von den automatisierten Engelsflotten und der Erntesphäre mussten sie lediglich zur erforderlichen Medizin verarbeitet werden.
Auf den Planeten blieb nach der Ernte nur noch ein kleiner Prozentsatz der Population als nicht verwertbares Material zurück.“
„Was bedeutet ‚nicht verwertbar‘? Kann nicht jeder Organismus irgendwie genutzt werden?“, wandte Konstantin ein.
„Die Götter sind zur Herstellung der Medizin auf die passenden Rohstoffe der Population angewiesen“, entgegnete Yssantis. „Über die Zeit hinweg treten nun mal in der DNA eines jeden Organismus Mutationen auf. Das ist zwar das Grundprinzip der Evolution, erzeugt aber Lebewesen, die vom Automatismus der Ernte nicht erkannt werden können und daher zurückbleiben. Dieser Rest einer Population wird dann erneut mit einem Mutagen behandelt, die Population erholt sich, und der Zyklus beginnt von vorn.
Die Götter haben den Vorrat an Medizin gesichert und den Aufwand für die Logistik weitestgehend reduziert. Die Versorgung aller mit der Medizin, die sie brauchten, war also sichergestellt.“
„Und wir sind also diese Überbleibsel der Population auf der Erde – das nicht verwertbare Material“, begriff Konstantin. „Aber warum werden wir dann von den Engeln angegriffen? Reicht es nicht aus, zu warten, bis das Mutagen uns wieder in erntebares Material verwandelt und die Sphäre wieder ihre Arbeit verrichtet?“
„Vor der Reform wäre das genauso abgelaufen“, erklärte Yssantis. „Aber die Götter schufen mit den Lhon’Dar etwas, was die Ernteprozedur noch wesentlich komplexer gestalten sollte. Das begann vor 60 000 Jahren.“
Konstantin hatte offenbar nicht erwartet, so weit in die Vergangenheit zurückgeworfen zu werden.
„Vor 60 000 Jahren?“, fragte er verblüfft nach. „Wie alt ist diese Zivilisation der Götter denn?“
„Das wissen wir nicht“, entgegnete Yssantis gemessen. „Wir wissen tatsächlich nicht einmal, ob sie überhaupt noch existiert. Üblicherweise verschwindet die Erntesphäre nach der Ernte unverzüglich. Die Tatsache, dass sie seit zwei Jahren unverändert im Erdorbit hängt, haben wir zwar den Lhon’Dar zu verdanken, jedoch wurden von den Göttern bisher keine weiteren Versuche unternommen, die Sphäre abzuholen. Ebenso sind die Engel erst jetzt hier eingetroffen, zwei Jahre nach Erscheinen der Erntesphäre. Das lässt zumindest vermuten, dass der Automatismus nicht mehr so funktioniert, wie einst vorgesehen.“
„Was haben die Lhon’Dar denn damit zu tun? Gefühlt hat damals die ganze Welt die Sphäre unter Beschuss genommen, als sie sich um die Erde herum in Stellung gebracht hatte“, empörte sich Konstantin.
„Das war aber nicht unbedingt von Erfolg gekrönt, nicht wahr?“, meinte Yssantis mit einem süffisanten Unterton. „Dafür sind heute weite Teile der sibirischen Tundra und Australiens extrem verwüstet, und die Ernte konntet Ihr auch nicht verhindern. Wahrlich ein Meisterstück. Die Lhon’Dar haben bereits bei anderen Planeten versucht, die Ernte zu verhindern. Während sie anderswo erfolgreicher waren, haben sie es auf der Erde jedoch nicht geschafft.“

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